WiYou.de - Ausgabe 1/2016 - page 33

WiYou . Wirtschaft und Du . Ausgabe 5­2015
Sie ist weg!
Ich erzählte gerade noch von meinem Auto? Meiner süßen kleinen, manchmal zu sehr vollgepackten rollenden
Handtasche? Meiner Olga? Seit Jahren schafft sie mich und meinen Kram zuverlässigst, wohin ich lenke. Auch wenn
sie schon das eine – fast auch schon das andere – Jahrzehnt auf ihrem gerade noch so weißen Motorhäubchen hat
und materiell eher im Bereich vollgetankt­ist­gleich­wertverdoppelt liegt, wir gehören zusammen, sind noch un­
fallfrei und einfach ein gutes Team. Waren.
Samstag, später Nachmittag. Ich wollte doch nur nochmal schnell rüber ins Einkaufszentrum. Kaffee war alle. Aus
schnell wurde dann schnell ein bisschen länger – die wissen schon, warum man auf den Weg ins Kaufland an den
Schuhläden „vorbei“ muss. Und weil niemand wirklich nur Kaffee kauft, wurde aus dem „kleine Tasche reicht“ von
zuhause an der Supermarktkasse angekommen dann auch ein „große Tüte bitte noch.“ Und so bin ich nach knapp
einer Stunde Fünfminuteneinkauf vollbepackt auf dem Weg zu Olga. Olga? Wo isse hin? Eigentlich parke ich für
Lebensmitteleinkäufe immer direkt neben dem Aufzug. Hmm, merkwürdig. Okay, ja, ich geb´s zu. Es kommt immer
mal wieder vor, dass ich nicht mehr so ganz genau weiß, wo ich meine kleine Schneekugel abgestellt habe. Beim
schwedischen Möbelhändler führte ich dazu gerade vor Weihnachten noch ein rund dreißigminütiges Wander­
Stück zur Unbelustigung meiner mütterlichen Begleitung auf. Also wer weiß, kein Grund zur Sorge. Ich hieve meine
Einkäufe nochmal richtig hoch und mache mich auf, meine Liste an Parkplatz­Favourites abzulaufen. Aber auch bei
„nur schnell zur Post rein“, „kurz Geld abheben“ und „was vom Chinesen zum Abendbrot“ gibt’s von Olga keine
Spur. So langsam wird der Beutel schwer und mir doch ein bisschen mulmig. Weiter hinten parke ich eigentlich nur,
wenn sonst nix frei ist, aber so voll war´s doch vorhin gar nicht. Oder? Ich gehe brav auch die hintersten Parkplatz­
reihen ab. Komplett. Denn nur Reinschielen reicht nicht. Olga ist so klein und zierlich, dass sie schon mal hinter
einer Familienkutsche verschwindet. Aber auch hier nichts. Ich werde allmählich nervös und laufe immer schneller.
Olga? Ich bin fast durch. Immernoch nichts. Ein junger Mann überholt mich von rechts, piepst eine schwarze
Riesenkiste am Ende der letzten Reihe an, sprintet hin, springt rein und rast davon. Da! Ich bin erleichtert, will mich
schon fast selbst auslachen, weil ich wirklich dachte, sie wäre weg, als ich da nun zwar ein weißes Auto, aber leider
dann bei genauerer Betrachtung doch nicht mein weißes Auto sehe. Die Träger des Beutels werden immer länger
und schneiden mir in die Hand. Sie ist nicht da. Sie ist weg. Jemand hat sie mitgenommen. Diebe!!! Panik, Verzweif­
lung, Wut? Ich kann mich nicht entscheiden. Wer klaut denn bitte bei dieser Auswahl hier ausgerechnet meine
Kleine? Ich guck doch noch mal bei den Fahrstühlen. Nein, nichts. Inzwischen habe ich Angsttränchen im Auge und
noch eine letzte Idee. „Wurde hier in der letzten Stunde ein Auto abgeschleppt?“ Die junge Dame am Infotresen
des Zentrums guckt etwas irritiert. „Nein, wir rufen auch vorher immer aus. Danke.“ Sie tippt weiter an ihrem
Computer rum. Danke?! Okay, ich versuch´s nochmal: „Aber ich kann mein Auto nicht finden“, und klinge dabei
weinerlicher, als ich möchte. Sie guckt wieder hoch: „Sind Sie sicher? Wo steht denn Ihr Auto?“ Hä??? Aus panisch
wird allmählich panisch und sauer. „Na wenn ich das wüsste …“ „Ja sorry, da kann ich Ihnen leider auch nicht hel­
fen. Rufen Sie am besten die Polizei an.“ Ich krame mit zittrigen Fingern in meiner Tasche nach meinem Handy und
– oh, wieso habe ich denn den Fahrradschlüssel mit? Ohh! Ohhh!! „Ähm, hat sich erledigt“, murmelnd packe ich
meinen Beutel und gehe. Einen Umweg über den Seitenausgang. Sie muss ja nicht sehen, dass ich auf dem Weg
zum Fahrradständer bin.
Schussi, eure Mamu
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